Gedanken
Gedanken/47
Er ist eine Sucht. Er tut mir nicht gut. Er macht mich kaputt. Ich will ihn nicht. Aber ich kann nicht ohne. Das Verlangen nach ihm ist immer da, verlässt mich nicht. Zu keinem Tag, keiner Stunde – niemals. Dabei wünsche ich mir so oft, er würde gehen. Die tragischste Form der Verzweiflung ist, wenn man sich etwas bewusst ist, und es doch nicht ändern kann. Immer und immer wieder lässt er mich zerbrechen. Mit einem höhnischen Lächeln im Gesicht greift er in mich hinein, zerdrückt mein Herz und zerfetzt meine Seele. Ich liege am Boden. Desto öfter ich verletzt werde, desto länger liege ich da. Ohne Kraft aufzustehen. Bis ich irgendetwas sehe, was mir ein kleines bisschen Hoffnung gibt. Einen Ausweg. Dann raffe ich mich auf, taumle ein Stück nach vorne, laufe weiter. Bis ich verdränge, dass ich bis vor kurzem noch auf dem Boden lag, zerbrochen. Das ist der Punkt an dem er wieder kommt. Mit höhnischem Lächeln auf dem Gesicht steht er vor mir. Die Erinnerungen kommen zurück. All die Bilder sind wieder klar vor meinem inneren Auge sichtbar. Ich versuche mich abzuschirmen, ihn zu ignorieren. Er greift in mich hinein, zerdrückt mein Herz und zerfetzt meine Seele. Ich liege am Boden. Er verfolgt mich. Und ich kann nicht ohne ihn. Denn immer, wenn ich laufe und ihn verdränge, merke ich diese Leere in mir. Ich weiß, dass etwas fehlt, auch wenn ich nicht weiß, was es ist. Die Leere schafft es, alles andere in mir auszuschalten. Die einzigen kurzen Momente, in denen ich fühle, sind die, in denen er mich berührt. Das sind die Momente, in denen ich mich endlich lebendig fühle. Schmerzlich lebendig. Manchmal mache ich es mit Absicht. Mache irgendetwas, wodurch er kommt. Nur um zu fühlen. Wenn ich dann daliege und darauf warte, dass meine Kraft zurückkommt, frage ich mich oft, wieso es so ist. Wieso kann ich nicht glücklich sein? Wieso kann ich keine Freude fühlen? Wieso mache ich immer alles kaputt, um ihn zu fühlen, obwohl ich ihn so sehr hasse? Ich finde keine Antworten. Ich weiß, dass ich nicht auch nur eine einzige der Fragen beantwortet bekommen werde. Aber wenn die Leere kommt, interessiert es mich nicht mehr. Ich frage nicht mehr danach. Ich lächle jeden an, der an mir vorbei läuft, der mit mir redet, der etwas mit mir unternimmt. Ich lächle sie an und sie fragen nicht. Es ist sowieso nie von Dauer. Man kann keine Freundschaften, keine Beziehungen aufbauen, wenn man die meiste Zeit über verschwunden ist. Aber es mir egal. Denn nachdem er da war, ist alles okay. Die Wünsche, Bedürfnisse, Träume die sich tief in meinem Inneren festgesetzt haben, versuche ich vor ihm zu verbergen. Wenn er sie findet, wird er sie mir wegnehmen. Dann ist auch die Hoffnung weg. Dann wird die Kraft nicht zurückkommen. Dann gibt es keine Hoffnung mehr. Ich habe sie in meinem Kopf vergraben. Ich kann sie nicht herausholen. Aber das Wissen, dass sie da sind, reicht aus. Es reicht aus, um zu überleben. Und überleben ist alles, was zählt. Er tötet mich nicht. Er verwundet mich nur, fügt mir Narben zu, damit ich immer an ihn denke. Er will, dass ich es selber mache. Er will sehen, wie ich von einer Brücke springe, meine Pulsadern aufschneide, mich vor einen Zug werfe. Aber ich habe beschlossen zu überleben. Ich gebe nicht auf. Nicht, solange die Wünsche, Bedürfnisse, Träume noch in meinem Kopf sind. Ich halte mich an ihnen fest. Ich werde nicht loslassen. Ich werde sie mir nicht von ihm wegnehmen lassen. Es ist alles, was ich habe. Mein Geheimnis.
Ich kann nicht ohne ihn leben. Ich wünschte nur, er würde nicht so oft auftauchen. Denn ich werde schwächer, jedes Mal, wenn er da war. Und ich möchte nicht, dass er es schafft, mich zu brechen. Ich wünschte, ich wäre stark genug gegen ihn zu kämpfen. Ich bin es nicht. Ich wünschte, jemand würde es sehen und würde sich vor mich stellen. Ich brauche Hilfe. Ich kann es nicht alleine. Aber ich kann es nicht erzählen. Und niemand sieht es. Niemand sieht das Blut, das aus meiner Brust quillt. Niemand hört es. Niemand hört die Schreie, wenn er mein Herz zerdrückt. Niemand hört das Weinen, wenn er meine Seele zerfetzt. Er ist da. Er wird immer da sein. Er ist meine Sucht, die ich loswerden will, ohne die ich aber nicht leben kann. Er ist es, der mich in der Hand hat. Er ist alles, was ich fühlen kann. Der Schmerz.

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